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Reform der Regelungen zu Antidiskriminierung, Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz

von | 25. Jul 2023

Ein Arbeitsplatz frei von Diskriminierung, Gewalt und Belästigung jeglicher Art ist das Ziel verschiedener politischer Initiativen sowie gesetzgeberischer Maßnahmen. Aber auch die allermeisten Unternehmen werden für sich in Anspruch nehmen, dass sie alle Grundlagen einer diskriminierungsfreien Arbeitsumgebung geschaffen haben, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) seit dessen Inkrafttreten im Jahre 2006 vorsieht.

Mit Spannung sind insoweit aktuelle Bestrebungen auf politischer Ebene zu beobachten, die in den nächsten Monaten Änderungen und auch Verschärfungen der Anforderungen an diskriminierungsfreie Organisationen mit sich bringen könnten.

Ratifizierung der 190. Konvention der ILO

Um Betroffenenrechte im Falle von Gewalt und Belästigungen am Arbeitsplatz zu stärken, wurde im Juni 2023 durch Deutschland die 190. Konvention der ILO (International Labour Organization) ratifiziert (Link in den Kommentaren).

In diesem völkerrechtlichen Übereinkommen wird erstmals definiert, was unter Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz zu verstehen ist. Neben allgemeinen Definitionen sind auch weitergehende Geltungsbereiche im Arbeitsleben, wie beispielsweise Dienstreisen und Pausenräume, ausdrücklich erfasst. Zudem werden auch Selbstständige, Bewerber und Auszubildende explizit vom Schutzbereich erfasst.

Durch die Konvention soll allgemein jedes Verhalten, das Menschen in ihrem Arbeitsumfeld demütigt, herabsetzt, belästigt oder physisch wie auch psychisch angreift, verboten werden. Insbesondere soll damit auch geschlechtsspezifische Belästigung unterbunden werden. Nachdem nun auch Deutschland das Übereinkommen ratifiziert hat, hat es sich zur Umsetzung in Gesetzgebung und Praxis innerhalb von zwölf Monaten verpflichtet.

Denkbar wäre insoweit zur nationalen Umsetzung, wie vom Deutschen Gewerkschaftsbund gefordert, etwa die Einführung von zusätzlichen Verbots- und Sanktionsnormen im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).

Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG)

Das AGG soll allerdings auch mit einer weiteren nationalen Initiative Änderungen erfahren. Die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, hat am 18. Juli 2023 in Berlin einen Vorschlag für die Reform des AGG vorgelegt (Link in den Kommentaren). Dieser Vorschlag soll „die Grundlage für die AGG-Reform darstellen, die von den Regierungsparteien im Koalitionsvertrag angekündigt würde.“

Nach den Reformvorschlägen soll die Liste der verbotenen Merkmale des AGG erweitert werden, unter anderem um „Staatsangehörigkeit“, „sozialer Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“. Zudem sollen künftig Mindest- und Höchstanforderungen an das Alter ohne Ausnahme unzulässig sein. Aus der Sicht des Recruiting wäre vor allem das Verhindern einer Benachteiligung wegen des (schwer greifbaren) sozialen Status sehr schwierig abzubilden. Bemerkenswert ist auch die Forderung, „Freiberufler“ in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzubeziehen. Wenn zukünftig auch Selbstständige erfasst sein sollen, könnte dies dazu führen, dass auch unternehmerische Auswahlentscheidungen außerhalb des Personalbereichs auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

Frau Ataman möchte zudem den prozessualen Nachweis von Diskriminierungen erleichtern. In ihrem Papier heißt es dazu: „Das Erfordernis, eine Benachteiligung und Indizien nachzuweisen, sollte auf die Glaubhaftmachung herabgesenkt werden, das heißt, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit genügt.“ Auch dies wird von Unternehmen kritisch zu sehen sein, da schon bislang der lediglich geforderte Indizienbeweis zur Förderung von unberechtigten Klagen beitrug.

Eine weitere sehr bedeutende Forderung bei der Reform ist die verlängerte Klagemöglichkeit. Die aktuelle Frist zur Geltendmachung der Ansprüche nach Eintritt der Diskriminierung beträgt zwei Monate. Gefordert wird nun aber eine Verlängerung auf zwölf Monate. Kritisch wäre insoweit aber mit Blick auf Bewerbungsvorgänge, dass jede Ablehnung einer Bewerbung zukünftig dann noch ein ganzes Jahr befürchten lassen könnte, dass eine AGG-Forderung erhoben wird.

PBC legal takeaways: Unternehmen verfolgen nicht zuletzt aus starkem Eigeninteresse das Ziel, Mitarbeitern/innen einen diskriminierungs- und belästigungsfreien Arbeitsplatz zu gewährleisten. Dazu braucht es im Grunde keine gesetzliche Verschärfung.  Insoweit muss die Sorge bestehen, dass mit einer weiteren gesetzlichen Regulierung in diesem Bereich etablierte Strukturen neu aufgesetzt werden müssen und durch die Schaffung neuer Klageanreize auch Fehlentwicklungen in Gang gesetzt werden. Ob und wie die ILO-Konvention im deutschen Recht konkret umgesetzt und ob es in den nächsten Monaten zu weiteren Reformen des AGG kommen wird, bleibt abzuwarten. HR- und Recruiting-Abteilungen sollten diese Entwicklung im Blick behalten.

Autor dieses beitrags und

Ansprechpartner

Florian Christ

Florian Christ

Partner
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Arbeitsrecht

christ@pbc-legal.de
Luisa Victoria Jeck

Luisa Victoria Jeck

Rechtsanwältin

jeck@pbc-legal.de